Popasna

                            Popasna

         "Ich denke, dass Popasna für mich die Stadt ist, in der es keine Grenzen gibt. Mach, was du willst".

Leonid Bondarenko (11. Klasse, Schule Nr.1)

Viola Storozhenko (10. Klasse)

Popasna kann man mit einer kleinen und gutmütigen Frau vergleichen, die in einer Kneipe arbeitet. Morgens schaust du sie mit müden Augen an, aber sie schickt dir den ersten Sonnenschein. Sie hat schon viele Falten und Risse, aber sie versucht wie neu zu sein und das gelingt ihr gar nicht so schlecht. Wir suchen unsere geheimen Orte in der Stadt auf und die Zeit vergeht, aber die Stadt Popasna bleibt sich erhalten. Manchmal kommt es einem vor, dass Popasna eine teuflisch eiserne Dame ist, die von nichts gebrochen werden kann. Ich denke, dass Popasna und ich uns zwar nicht immer, aber im Großen und Ganzen einander verstehen. Manchmal, wenn es hinter dem Fenster blitz und man den Donner hört, denkst du über Popasna: "Was für eine Zicke, warum ärgert sie sich so? Aber manchmal haben wir hier leichten Regen und du weinst gemeinsam mit ihm. Oder du kannst nicht einschlafen, setzt dich an den Tisch und beginnst gemeinsam mit Popasna zu träumen, wenn du auf seinen Mond schaust. 


Den Gumennyi: Mein Popasna 

"Über dem Gefängnis ist bei Mitternacht alles schwärzer als Asche. Die junge Katyuscha wurde des Diebstahls beschuldigt. Der Polizist beim Verhör sieht hinterhältig aus. Aber das Mädchen weint, ich bin nicht schuld". 

Ein edler Mikrobus der Marke Mercedes für 7 Personen. Im Salon sind wir 8. Und der  Soldat, mit Gehirnerschütterung, sitzt während der Fahrt von seinem Krankenhaus zu seiner Dienstelle auf meinen Knien. Er will ein Dokument abholen. Der Mercedes bringt uns mit großer Geschwindigkeit über die kaputte Brücke aus Kharkiv über Slvajansk und Bachmut nach Popasna. Uns entgegen fährt ein Bus mit dem Ziel Moskau. Von ihnen fährt hier jeder Tag 5 aus Lisetschansk und einer aus Kosntavtinovka. Unser "Deutscher" fährt fast in den "Moskauer" rein, kriegt aber wie durch ein Wunder noch die Kurve. Zum Refrain des Liedes beginnt ein Sturm voller Staub auf der Straße. 

Gebleichte Büsche, hinter denen sich auch Soldaten verstecken könnten, trennen die Straße von einem Weizenfeld. Dahinter, weiter weg nach rechts, hört man Explosionen. Dort ist schon die Stadt Stachanov. Aber unser Weg geht nach links an einem Grenzübergang mit zerschossenen gelb-blauen Zeichen vorbei... 

Was wusste ich von Orten wie Popasna bevor der Krieg begann? Was wusste ich überhaupt von solchen Orten bevor der Krieg begann? Wusste ich, dass dieser Ort Ukraine war? Ehrlich gesagt waren diese Orte mir egal. Wohl nicht vor dem Beginn des Krieges, aber sicher bevor die Maidan Revolution begann. Sie waren mir egal, wie sie auch heute den meisten Ukrainern egal sind. Das Luhansker Gebiet ist das terra incognita der Ukraine. Luhansk ist „Die Stadt, die es nicht gibt“, wie in dem Lied aus der Fernsehserie über die Banditen. Luhansk is ein mystisches Gebiet irgendwo am Arsch der Ukraine, wo nur Kohlebergbauarbeiter, Drogensüchtige, Alkoholiker und Provinzbeamten arbeiten. All die Versager, die es nicht geschafft hatten, in die Hauptstadt zu ziehen. Oder zumindest nach Kharkiv oder Odessa. Oder nach Donezk. Obwohl Donezk ist jetzt auch „Die Stadt, die es nicht gibt“. 

Für mich ist ein Ort die Menschen, die an ihm leben. Hätte ich alle diese Menschen ohne den Krieg kennengelernt? Wäre ich derjenige, der ich jetzt bin, wenn es den Krieg nicht gegeben hätte? Ich weiß es nicht. Hier ist alles ehrlicher. Hier an der Grenze zum Krieg erfährt man das Leben wirklicher. Hier ist alles kontroverser und schwerer. Hier gibt es das Schönste, was ich je im Leben gesehen habe: Morgens um fünf Uhr nach den Schusswechseln im Sonnenaufgang brennen die ukrainischen Weizenfelder. Und aus Luhansk in der sogenannten Luhansker Volkskrepublik zieht der Dunst des Morgennebels herüber. 

Der Mercedes Minibus entflieht dem Staub gegenüber eines Verkehrszeichens, auf dem Popasna steht. Davor macht gerade ein Liebespaar aus dem Fenster ihres heruntergekommenen Zhiguliwagens ein Selfie. „Wie derbe“, denke ich. Es mussten Jahre vergehen, bis ich verstand, das dies nicht derbe ist, sondern das normale Leben.

 „Katya, Katenka, Katyuscha. Das Herz bricht aus der Brust. Tränen rinnen, Tränen ersticken, was wird da wohl noch kommen?“  

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