Buergerbuehne

                                            Bürgerbühne 

"Nach der Vorstellung brauchte ich viel Zeit um mich zu beruhigen und dachte lange über das Projekt nach. Dieses Projekt, diese Menschen, diese Atmosphäre – das ist wie ein Feuer. Wir zünden es selbst an, unterstützen einander, wir achten aufeinander und helfen uns dadurch weiter für dieses Projekt zu brennen. Und wenn wir uns aufgewärmt haben, löschen wir das Feuer wieder. Es wird dunkel, wie bei dem Ende einer Theatervorführung. Wir gehen wieder weg, so wie die Zuschauer den Saal  verlassen hatten. Und wir sind diesem Feuer dankbar, dass es uns geholfen hatte, seine Wärme so reichhaltig in uns aufzunehmen.”

Diese Worte meiner 15-jährigen Schülerin Maria Zapenko aus Nikolajewka im Donbass fassen für mich den Sinn unseres Theaterprojektes “Die Stadt zum Mitnehmen” und die Idee des Theaters, an der wir mit der Bühnenbildnerin Anastasia Tarkhanova und der Psychologen Elena Margo in der “Agency for Safe Space” arbeiten, zusammen.

Meine Idee von Theater ist die Erzeugung von Wärme. Wärme, die wir so im Alltag nicht in der Lage sind zu schaffen, diese dann aber durch die Theaterarbeit in den Alltag mitnehmen. Und es begründet für mich auch die Notwendigkeit für Theater. Ich kenne keine weitere “klassische Kunst”, die zwischen Menschen so viel Wärme erzeugen kann.

Die Arbeit an diesem Bürgertheater ist in erster Linie die Schaffung eines Raumes, in der diese Wärme entstehen und bleiben kann. Die Aufgabe in Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner ist daher zuerst die Schaffung einer Atmosphäre, die auf großen Vertrauen zueinander beruht, in dem sich alle Teilnehmer mit ihren Gefühlen und Gedanken sicher fühlen und Menschen sich gerne unterstützen.

In einem zweiten Schritt ist es dann die Aufgabe, diese Atmosphäre zu visualisieren und auf der Bühne einen Raum zu schaffen, in der diese Atmosphäre weiterlebt.

Zur Schaffung der Atmosphäre: Ich war nie auf dem Maidan während der “Revolution der Würde”. Ich kenne alles nur aus Erzählungen von Freunden. Aber diese Erzählungen von Mut, grenzenloser Unterstützung und Hingabe für den Anderen hat mich damals tief berührt und inspiriert 2015 das Theatre of Displaced People in der Ukraine zu gründen. Ich fühle, dass auf dem Maidan eine Flamme entzündet wurde, die trotz aller Schwierigkeiten in der heutigen Ukraine, noch nicht erloschen ist. Ich spüre, das nach wie vor eine Wärme von ihr ausgeht, die vielen Menschen Sinn schafft und Kraft gibt weiter zu machen an einer Welt zu arbeiten, in der jeder in Würde leben kann.

Vielleicht sind das alles nur meine Phantasien über den Maidan. Vielleicht war alles ganz anders, als ich mir vorstelle und ich wäre in meinen Illusionen sehr enttäuscht gewesen.

Aber, da mir diese Vorstellung des Maidans zu viel Kraft und Ideen gibt, ist dies nicht so wichtig. Entscheidend ist, welche Wahrheit für mich durch meine Vorstellung entstanden ist. Für mich bleibt die Idee von Theater in der Ukraine ein großer Maidan, der aus vielen kleinen Initiativen besteht, die sich mit Hingabe unterstützen und dabei die Würde des Anderen wahren. Dieses Theatermodel sehe ich als Gesellschaftsmodel für die Ukraine.

Die Schaffung dieses “Raumes der Würde” beginnt so mit der ersten Probe.
Wir arbeiten mit Schülern im Alter von 12 bis 17 Jahren. Sie spüren sehr genau, ob du es ehrlich mit ihnen meinst oder ihnen etwas vorspielst. Du musst genau wissen, was du willst und warum das tust, was du tust. Ich brenne vor Interesse andere Menschen kennenzulernen, Zeuge einen Prozess des Erwachsenwerdens bei den Schülern aus dem Donbass wieder und wieder mitzuerleben. Den unglaublichen Versuch dieser Schüler diese Welt mit Humor und Mut zu verstehen jedes Mal neu zu erfahren. Deshalb brenne ich bei jeder Probe und jeder Begegnung mit ihnen.

Die Schüler glauben mir und wir erzählen uns die spannendsten Geschichten, lachen und weinen miteinander. Es gibt nur die unausgesprochenen Gesetze, die wir erwachsenen Projektleiter leben müssen: Jeder Gedanke und jedes Gefühl deines Gegenübers wird ernst genommen und es wird darauf geachtet niemanden zu kränken.

Die Schüler aus Bachmut, Popasna und Nikolajewka erzählten uns sehr persönliche Geschichten über ihr Erwachsenwerden im Donbass. Geschichten, durch die sie sich durch das eigene Öffnen der Seele stärker fühlen, gleichzeitig aber sehr verwundbar machen.

Wie schaffen wir mit dem Bühnenbildner einen Raum, in dem diese Schüler Geschichten erzählen können, die für sie so wichtig sind mitzuteilen, gleichzeitig aber in einem Raum der Stärke zu sein, in dem sie nicht mit ihren Geschichten verletzbar sind?

In dem Projekt “Die Stadt zum Mitnehmen” haben wir uns mit der Bühnenbildnerin Anastasia Tarkhanova und dem Dramatiker und Choreographen Den Gumenii für folgenden Weg entschieden:
Wir zeichneten ihre Monologe auf Tonband auf und ließen Schüler und Publikum durch gemeinsames Hören der Geschichten Zeuge des Erwachsenwerden dieser Schüler werden. Der Zuschauer beobachtete nicht das Artikulieren der Schüler, sondern ihr Hören der eigenen Geschichte und von sich selbst, das wir einige von den Zuschauern zu den Schülern auf die Bühne setzten.

Gleichzeitig wollte ich aber der Bühne einen Raum schaffen, den diese Schüler kennen. In welchem sie trotz der ungewohnten Situation auf der Theaterbühne zu Hause sind und das Publikum in ihre Welt als Gäste kommen.

Unsere Bühnenbildnerin Anastasia Tarkhanova “durchforstete” einen wichtigen Teil der Welt dieser Schüler: Ihr Leben im Instagram, in das sie uns einluden und in dem wir sie auch von einer ganz neuen Seite kennenlernten. Und siehe da: Sie assoziieren sich in ersten Linie nicht mit der Ukraine, nicht mit dem Donbass, nicht mit ihren Städten, sondern mit ihren Höfen in denen sie aufwuchsen und jetzt den größten Teil ihrer Freizeit verbringen. Hier fühlen sie sich sicher und zu Hause.

Wie kann ich das auf der Bühne so ausdrücken, dass es keine Illustration wird, und die Stärke des Erlebens ihrer Höfe bei ihnen bleibt?
Ich erlebte, welch großes menschliches Vertrauen die Schüler bei dem Beginn unserer Arbeit in Popasna dem Dramatiker dieses Teils, den Künstlerischen Leiter des PostPlay Theaters in Kiew,  Den Gumenni entgegenbrachten. Und wie Den die tägliche Arbeit mit diesen Schülern liebte. Zudem faszinierten mich Arbeit von Den im Bereich “Body Work” und “Performance”, die ich bisher aber nur von Videoaufzeichnungen kannte.

Ich dachte, vielleicht kann man hier einen gemeinsamen Raum auf der Bühne schaffen, der durch ihre Welt der Höfe, der plastischen Arbeit von Den und dem großen Vertrauen und Sympathie der Schüler für Den entsteht?

So entwickelte Den mit den Schülern ein “lebendiges Bühnenbild”, das in ständiger Bewegung die Beobachtungen der Schüler in ihren Höfen diese Beobachtungen physisch ausdrücken.

In diesem Hof nahmen wir schwere Blöcke aus Salz aus dem Donbass mit, die zu “Kristallalpen” umgebaut wurden. Sie hatte eine wärmende und durch das erwärmte Salz heilenden Wirkung. Es war auch bei jeder Vorstellung durch das Salz “ein Stück Heimat” der Schüler immer mit dabei.

Die Zuschauer kommen zu Beginn der Vorführung in einem Raum, in der die Schüler schon in den Bewegungen der Welt ihrer Höfe leben. In diesen Bewegungen erleben die Schüler die Tonbandaufnahmen ihrer Geschichten. Erleben den ständigen tiefen Kontakt und Unterstützung zueinander, während der Zuschauer die Geheimnisse ihres Lebens erfährt. Sie bleiben in dieser Bewegungswelt auch dann noch, wenn der letzte Zuschauer aus dem Raum entlassen wird.

Bei unserem Gastspiel am PostPlayTheater in Kiew geschah dann etwas ganz zauberhaftes. Auf der Bühne, in unserem “Schülerhof” saßen ehemalige Schüler aus Nikolajewka, die damals an meiner ersten Theaterinszenierung im Osten der Ukraine “Mein Nikolajewka” teilgenommen hatten und mit denen wir sehr viel erlebt und durchgemacht hatten. 

Sie waren der Ursprung aller Arbeit im Donbass Sie wurden zum Teil dieses Hofes, da sie fast jedes Wort der Schüler “aus ihrer eigenen Vergangenheit im Donbass” ganz besonders durchlebten. Diese starke Energie, die sich durch ihre “Reise in ihre Kindheit” entstand, übertrug sich auf meine “neuen Schüler”. Diese wiederum erlebten mit der Kraft ihrer “Vorgänger” nochmal ihre eigenen Worte und ihr Leben in ihren Höfen in großer Emotionalität. Zum Schluss blieben fast nur meine Schüler und die ehemaligen Schüler aus Nikolajewka im Saal. Sassen ganz nah beieinander und sc hwiegen.

Dann verließen auch die ehemaligen Schüler aus Nikolajewka den Saal. Und dann geschah mit den Schülern und mit uns, was meine Schülerin Maria Zapenko am Anfang dieses Textes beschrieben hatte: Wir hatten heute ein Feuer entzündet und wieder zum Erlöschen gebracht. Die erlebte Wärme nehmen wir mit.

(Georg Genoux, Regisseur und Künstlerischer Leiter des Projektes, über seine Erfahrungen bei der Arbeit an "Die Stadt zum Mitnehmen". )
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